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ZEITSCHRIFT

KUH

DEUTSCHES ALTERTUM

UND

DEUTSCHE UTTERATUR

hekausgegew-.n

VON

EDWARD SCHROEDER UND GUSTAV ROETHE

NEUNUNDVIERZIGSTER BAND

DER NEUEN FOLGE SIEBENUNDDRE1SS1GSTER BAND

BERLIN

W KIDÄ1ANNSCHE BUCHHANDLUNG 1908.

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3003

2

INHALT.

Seite

Ulrich von Lichtenstein als lyriker, von Brecht 1

Tübinger Parzivalbraehstöck von Bohnenberger und Benz .... 123

Kin Winsheke-frnijmeiit der Universitätsbibliothek Münster, von Bömer 135

Ein Ulfilas-stempel, von Henning 146

\Valtheriaii3, von Fischer 154

Arolser bruchstück vom i buche des Passionais, von Schröder . . . I.V.)

Eine Vagantenliedersammlung des 14 jh.s in Herdringen, von Bömer . 161

Ragnarök in der Völuspa, von Niedner 239

Ein Göttinger Wigaloisfragment, von Schaall's 298

Winileodes, von Jostes 306

Aisl. edda 'urgrofsmulter', von Neckel 314

Handgenial und Schwurbruderschaft, von Schönhoff 321

Zu s. 353 IF (hantgemal in der Kaiserchronik) von Schröder . 3G2

Mittelhochdeutsche frauengebete in Upsala, von Psilander .... 363

Mitteldeutsche wechselstrophen und Scherzlieder, von dems. . . . :'>"ti

Posener bruchstück der Ghristherre-chronik, von Wundrack . . . . 381

Walthers zweites tagelied, von RMMeyer 386

Zwei ungedruckte mystiker-reden, von Pahncke 395

Über Wolframs ethik, von Ehrismann 405

Arolser bruchstück des Willehalm, von Schröder 466

Parzival 399, 1, von Wilmanns 467

Zum Alexanderlied, von dems 468

Nnnnenstöl und Brunhildenstuhl, von Henning 46!)

Lückenbüfser : balkon, von Schröder 484

Über die herkunft und bedeutung der german. bildungssilben ag, ig

und Hk, von PSchmid 485

ULRICH VON LICHTENSTEIN ALS LYRIKER.

Das material der vorliegenden Untersuchung bilden die 5S lieder Ulrichs von Licntenslein , die in seinen Frauendienst eingelegt sind, überliefert sind sie in der einzigen FD-hand- BCbrift L (in München, daher auch als M bezeichnet) und in der grofsen liederhandschrift C. C gibt die Strophen in derselben reihenfolge wie L, hat also höchst wahrscheinlich aus einer FD-hs. geschöpft l. für wenige liederstrophen (lied xu) kommen controllierend die Heidelberger hs. A (357) und die Naglerschen fragmenle C" in belracht. aufser den liedern bah ich ge- legentlich Ulrichs lyrisch- didaktische 3 hilchlein herangezogen, die ebenfalls in den KD eingefügt, aber nur in L überliefert sind.

Ich habe den teil zu gruncle gelegt, den Lachmann in seiner gesamtausgabe Ulrichs (Berlin 1841) gegeben hat. die von Bechstein in seiner commentierten ausgäbe des FD (Leipzig 188S) vorgeschlagenen änderungen sind so gut wie durchweg zu ver- werfen.

Die aufgäbe der Untersuchung ist die erkenntnis der lyrik Ulrichs in ihrem individuellen kunstcharakter. was hat er für eine Vorstellung von einem gedichte gehabt? das ist die general- frage, welcher Stoff erscheint ihm poetisch? wie sieht er, durch seine natur und begabung determiniert, diesen meist unbe- wußt ausgewählten sloff an? welche formen der anordnung des Stoffes, welche gedankenketten und empfindungsreihen liegen ihm am nächsten und werden allmählich für die disponierung seiner gedichte mafsgebend? welche stilmitlcl stelin ihm zu ge- böte, um durch nilancierung der rede und durch enlfallung einer von innen heherschten , streng stilisierten dichtersprache seine lieder im einzelnen zu dem zu machen, was sie geworden sind? nach allem : wie ist die menschlich-dichterische persönlichkeit

1 C enthält einige lieder, die in L fehlen : xxxvn, von dem in L nur Überschrift und erste zeile erhalten sind, stand mit auf zwei verloren gegangenen blättern der hs. , die aufserdem den anfang der Artusfahrt von 1 24t) enthielten, vgl. Lachmanns anm. zu FD 449, 12; Bechstein n 172 aom. lvii und lviii dagegen sind in L ohne äufsere erkennbare lücke ausgefallen, während die vorläge von C an dieser stelle sie bewahrt haben muss. vgl. Lachmann zu 582, 3 und Bechstein n 311 anm. über zwei in C fehlende Strophen, die unrechtmäfsig in das xxiv-lied geraten sind (FD 421,17 f), siehe unten in cap. n s. 38.

Z. F. D. A. XLIX. N. F. XXXVII. 1

2 BRECHT

beschaffen, die sich in diesen 58 gedienten aus den jähren 1222 bis 1255 vor uns entwickelt?

Die Untersuchung richtet sich demgemäfs auf die motive, die compositiou, den stil des poetischen ausdrucks, die literarhisto- rische Stellung Ulrichs und seinen Charakter.

Wenn man vom ersten und letzten teil absieht, die vom in- halt ausgehn und zum gehalt zurückkehren, ist es wesentlich die innere form der lyrik Ulrichs, mit der sich die gegenwärtige arbeit beschäftigt, daher fehlen hier die behandlung der metrik l und die Untersuchung der spräche als solcher, auch die schwie- rige frage nach den gattungen seiner lyrik, die nur im zusammen- hange mit metrischen und musikalischen erwägungen zu lösen ist, ist nicht beantwortet worden, nur um den lyriker Ulrich handelt es sich, nicht um den autobiographischen erzähler; daher sind die vielen probleme, die sein äufseres leben und dessen einr seitige darstellung im FD bietet2, nur insoweit angerührt worden, als sie für die entwicklung seiner lyrik in betracht kommen.

Fragen der einzelinterpretation werden bei gelegenheit im zusammenhange der Untersuchung behandelt, auch hier hat Bech- steins ausgäbe nicht geleistet was man von einer commentierenden edition erwarten darf3, eine gesonderte ausgäbe der lieder würde dem nicht immer gleichmäfsig verständlichen lyriker erst sein volles recht gewähren.

ERSTES CAPITEL.

MOTIVE.

i Lieder der ersten m i n n e.

1222/23 1231/32.

Die ersten lieder zeigen Ulrich in pagenhafter Verehrung seiner dame, wie es bei seiner Jugend, 22 jähren, nicht anders zu erwarten ist : er gelobt sich für immer ihrem dienste. am

1 beträchtliche vorarbeiten sind namentlich von Knorr (Zu Ulrich vLichtenstein QF ix, Abschn. n 2) und Weifsenfeis (Der daktylische rhythmus bei den minnesängern §§ 103. 120. 415 uö.) geliefert worden.

2 vgl. v Falke Geschichte des fürstl. hauses Liechtenstein i, abschn. n. RBecker Wahrheit u. dichtung in UvL.s Frauendienst. Schönbach in der ADB, der Zs. 26, 307 (T und in den Biographischen blättern n 15 ff.

3 allerlei vorschlage, die gröstenteils widerherstellung Lachmannscher laa. gegenüber Bechstein bezwecken, macht (neben vielen sacheiklärungen) Schönbach Zs. f. d. ph. 28, 198 ff.

ULIUCII VON LICHTENSTEIN 3

schluss des ersten lietles fällt schon das Blichwort, das bis zum letzten für seine lyrik bezeichnend bleibt:

Höhen muot ich von ilir hän (18, 26). hochgefühl, beschwingte Beelenstimmung ist »bis erste und das letzte, das er von der miune verlangt, dessen wert zu preisen er niemals müde wird (schon im in liede 58, 30 widerum). gleich- falls einen bis zuletzt bedeutsamen zug bringt das n lied hinzu: lebhafte Sinnlichkeit, die anmutig verhüllend den letzten wünsch ausspricht, er muss den tag loben, an dem er einzig die ge- lieble sieht : wie gern priese er die nacht! ' sucht er hier wie ein erfahrener zu sprechen, so offenbart das m lied die ganze kindlichkeit seiner höfischen Verehrung:

ich erste sin gewan,

riet mir daz herze »tin,

Ob ich immer umrd ein man,

so solle ich ir ze dienste sin (58, 12), gerade wie das in seiner jünglinghallen Unsicherheit liebenswür- dige i büchlein (47, 1 mine tumben jungen tage; 47,6; 55,22). jetzt ist er endlich so weit, seinen vorsalz ausführen zu können, und von vornherein zeigt sich seine streng aristokratische auffassung: mit aufserster Verachtung spricht er sich gegen die niedere minne aus, und in deutlicher anlehnuug an den classiker der hohen minne, Reinmar den alten, preist er die freudenreiche sorge, die sie gebe (59, 5).

Diese vier productionen sinil die ausbeute seines ersten dichterjahres (1222/23). drei wichtige elemente seiner lyrik sind darin schon deutlich ausgeprägt vorhanden, es fehlt noch ein sehr bedeutsames, das Verhältnis zur natur.

Dies bringt das nächste jähr 1224, in dem Ulrich ein früh- lingslied und ein winterlied gedichtet hat. beide gehören inhalt- lich und formal als pendants zusammen, das vierte lied es ist das berühmte In dem wähle süeze dorne geht nach alter weise sogleich von der ganz kurzen nalurschilderung zu dem ihr parallelen seelenzusland des dichters über, der sich glück dazu wünscht, wenigstens die hoffnung auf erhörung sein eigen nennen zu dürfen, und sich davor fürchtet, vielleicht aus der illusion

1 vgl. in ßotenlaubens iv tageliede slr. 2 vers 7: JSahl git senfte, we tuot tac. (Bartsch Liederdichter s. 125 v. 61. .MSH i 32).

4 BRECHT

gerissen zu werden; der mai gilt ihm nichts ohne die liebe guole. in der tat verbittet sich schon zu anfaug des winters seine dame die hotensendungen, durch die er ihr bisher seine lieder hat zu- kommen lasseu (FD 102, 22 f). traurig reitet er weg und dichtet das fünfte lied, in dem er den nahenden winter verflucht, aber die hoffnung noch nicht aufgibt, bekümmert fragt er: Vrowe, liebiu vrowe min, warwnbe bistu mir gehaz? und erinnert sie an seine stete Verehrung von kindesbeinen an. Im sommer des nächsten Jahres (1225) reitet er von einem Brixener turnier mit zerstofsenem finger zu einem arzte nach Bozen, im saltel tröstet er sich durch ein lied (vi), in dem er sein misgeschick beklagt und um Gottes willen ein ihm stets naheliegender zug um erhörung fleht, sein leid hindert ihn jedoch nicht, auf dem krankenlager in Bozen einer unbekannten dame zuliebe, die ihm leclüre (vier büechelhi) zusendet, einen deutschen text zu einer von ihr ebenfalls überschickten auslän- dischen (wol italienischen) melodie zu dichten, der im lebhaftesten allegro, fast ausgelassen, sein liebliugsthema, lebensfreude durch frauenliebe, behandelt (vn). endlich treibt er auch wider einen boten auf, den er an seine herrin sendet, mit der mitteilung, er habe ihretwegen einen finger verloren, und mit einem ihrer standhaften Weigerung gegenüber recht unverschämten, aber in seiner leidenschaftlichkeit starken liede (vin). er habe sie ja schon längst gefangen und in den kerker seines herzens gelegt, dort behandle er sie, wie ein ritler seinen vornehmen gefangenen be- handelt, zwei andere gefangene liegen da mit ihr zusammen, sein smerze und sein klagende leit. nur wenn sie lösegeld bezahlt, hat sie aussieht, mit diesen beiden zusammen freizukommen; aber nicht silber unde golt kann sie erlösen: ich wil nihl wan ir minnen soll (vm). diese deutliche spräche hat die entgegengesetzte wür kung : mit zorn weist die dame den boten von sich.

Er ist weit entfernt, sich dadurch beirren zu lassen, auf dem rückwege von Born, wo er (im winter 1225/26) mit dem knappen der ihm als böte dient zwei monate geweilt hat, singt er ihr widerum ein lied, dem man anmerkt, wie recht ihm ihre sprödigkeit kommt, um mit seiner unerschütterlichen treue zu glänzen, an den bei den minnesingern obligaten gedankeu, der mai tröste alle, nur nicht den liebeskranken dichter, knüpft er

ULRICH VON LICHTENSTEIN 5

die nochmalige dringende bitle, die litrrin möge sieh besser be- denken, der fromme schluss verrät, auf welcher fahrt er sich befindet : auf 'Gottes wege' solle man frauenlob nicht siegen, heifst es; so wendet er sich denn zum gebet und empfiehlt sie der mutter Gottes (ix, gedichtet nach 19. 4. 26). aber auch dies lied hat ebenso wenig erfolg wie ein im herbst desselben Jahres gedichtetes, ein dialog zwischen Ulrich und der frau Minne, die den klagenden beschwichtigt, ermahnt und vertrustet (x; frau Minne schon 114, 15f, in vn, erwähnt).

Diese poetische Vorstellung muss in Ulrich volle dreiviertel jähre lang sehr lebendig gewesen sein, noch im herbst 1226 sendet er seiner dame ein biichlein (das zweite, FD s. 142), das wider um einen dialog zwischen ihm und frau Minne darstellt und im wesentlichen gedankengang und gesprächsverlauf des vorher- gehnden liedes widerholt (vgl. bes. 146, 31 148, 2 mit lied x, str. 4 u. 6). am 1 juni dichtet er eine singweise (xi), deren an- fang sich unmittelbar auf das x lied zurückbezieht.: Vil salic Minne, hab ich nu getdn Den dienest den din gewalt mir gebot . zwischen dem zweiten biichlein und dem xi liede ligt Ulrichs ritterfabrt von Mestre bis ins Mährische (25 märz bis 26 mai 1227), bei der er als frau Venus verkleidet speerebrechend zur ehre seiner herrin durchs land zog. der einfall muss wol mit den gediebten die seine ausfiihrung umgeben, zusammengebracht werden, jedoch ist kaum anzunehmen, dass der gedanke der Venusfahrt schon lange in ihm vorgespukt habe; wol aber ist einem so phantastischen köpfe zuzutrauen, dass er eine solche idee fasste, wenn er einmal sein innenleben einige zeit intensiv auf die personification der frau Minne (vgl. lied x u. biichlein n) gerichtet hatte1, hatte ihm im x liede frau Minne das klagen verwiesen, da sein bisheriges ausharren noch nicht der rede wert sei, und ihn zu weiterer geduldiger Pflichterfüllung ermahnt, die ihm noch den erhofften lohn einbringen werde, so fordert Ulricb jetzt, nach der Venusfahrf, im xi liede nachdrücklich diesen lohn von ihr, da er alles getan habe, was sie verlangte, gleichzeitig wendet er sich an alle frauen, deren sache er soeben nämlich auf der Venusfahrt vertreten habe, sie möchten ihm das gemüt

(Reinm

1 lvro Minne und vro Venus wurden als identisch gefühlt' Roethe I nar vZweter s. 215, mit beispielen).

6 BRECHT

seiner herrin geneigt machen, von der er niemals zu lassen sich fest vorgenommen habe, er fasst hier zum ersten male echt höfisch seine liebesangelegenheit als sache des ganzen weihlichen ge- schlechtes auf, dessen corpsgeist schon seine erhörung erheische: auch dies offenbar eine nachwürkung der Venusfahrt, die allen miunegewährenden frauen zur ehre ergangen war (vgl. FD 163 zeile 4 10); der hegriff aller guoten wibe (FD 164 zeile 13) war ihm von daher geläufig.

Dies lied macht nach Ulrichs Schilderung (FD 323, 8(T) nun doch eiudruck auf die herrin, sodass sie ihn zu sehen hegehrt, und ihn, als armen aussätzigen verkleidet, auf ihre hurg lädt, was ihm dort alles zuslöfst (14. 6. 27.) , wird hier als hekannt vorausgesetzt, wie weit auch die romanhafte einkleidung gehn möge, der kern der erzählung, eine raffinierte ahvveisung, bleibt beslehn. als bald darauf trotzdem wider eine anknüpfung ge- lungen ist, und die dame als weiteren treuebeweis in Wahrheit vvol, um ihn loszuwerden eine kreuzfahrt von ihm verlangt, setzt er sich hin (381, 5 ff) und verfasst wider ein (drittes) büch- lein, und ein lied, die er zusammen an sie gelangen lässt. beide gehören in der tat eng zusammen, mit den drei letzten fröhlichen versen des liedes schliefst auch das büchlein, gedanken des liedes sind mehrfach im büchlein näher ausgeführt, spielende Wendungen werden widerholt 1. freudigen herzens wünscht er sich selbst glück zu seinem ausharren trotz aller abweisungen, versichert von neuem seine treue und lässt die hoffnung nicht fahren.

Trotz allen tiraden bemerkt mau aber von jetzt an sehr deutlich, ohne dass Ulrich es im märe irgendwie ausspräche, dass

1 394, 26 Min hende ich valde , vgl. im Büchlein 389, 5 Min hende valde iu, vrowe min, ich ; 395, 1 Und also griieze vgl. 393, 2 23 : ez ist ein tugentlicher gruoz den er mit dem küsse als ihren segen für die kreuzfahrt ersehnt, die ehrenden attribute, mit denen er höchst reizvoll die fünf Strophenschlüsse seines liedes ziert, kehren viermal, doch in per- mutationen, im büchlein als abschlüsse von Sinnesabschnitten wider, die attribute der fünften Strophe bringt er, indem er am schluss des büchleins die drei schlussverse des liedes ganz widerholt. also : 384, 18 si liebe, si reine, si here : 394, 20 si reine, si scelic, si here. 386, 21 si liebe, si reine, si guote : 394, 25 si liebe, si aotc. 389, 4 si liebe, si reine, si siieze : 395, 3 si liebe, si siieze. 391, 19 st liebe, si guote, si reine : 395, 8 si guote, si liebe, si reine. 394, 7 si schäme, si cläre : 395, 13 si schcene, si cläre. (394, 5 7 = 395, 11 13).

ULIWCIl VON L1CHTEINSTE1N 7

sein heroischer eifer der herrio zu dienen und Beine böflft hi Deigung allmählich nachlassen.

Im winler 1227 auf 1228 findet ihn sein böte, der von der geliebten zurückkommt, unerwarteterweise in Wim, wo er sich in vornehmer damengesellschafl bewegt dl» 3!)t>, 7(T); und die ihm sehr erfreuliche botschafl, die dame wolle ihn Behen, hält ihn nicht ab, von Wien ;his frowcu sehen in diu laut zu reiten, nur aus diesen erlebnissen erklärt sich die eigentümliche vierte Strophe des bald darauf im früliling 122s lilr die herrin gedichteten mailiedes:

Ob ich nilit geniezen kan

dflner gilete und der langen statte min,

So mich vil sehenden man

der geniezen den ich durch den willen dtn

Sol und muoz yedienen vil.

daz sint eil in guotiu tcip, der Hp ich immer

e'ren wil, und die folgende schlussslrophe, in der der dame die güle aller guolen wibe als vorbild liiu gestellt wird; ihnen zuliebe möge sie ihn erhören, hiermit wird das motiv des xr liedes, dessen ent- Btehung ich vorhin erklärt zu haben glaube, mit stärkerer be- lonung wider aufgenommen; es entwickelt sich von nun an in fast allen folgenden liedern seines ersten minneverhältnisses, wie denn die lieder bis zum herbste 1231 untereinander und mit seinem leben in enger beziehung slebn.

Auf sein gleichzeitiges höfisches leben, dessen alleiniger in- balt in fröhlichen lurnieren und in der höfischen Unterhaltung mit frauen bestellt, spielt unverkennbar sogleich der anfang des nächsten liedes, einer lanzweise (xiv), wieder an:

Oae daz ich bi den wolgemuoten (nämlich d. gesellscbafl)

also lange muoz beliben ungemuot, sowie der scbluss sieb widerum an seine jetzige Umgebung, guotiu wip, wendet, vor der Ungnade seiner herrin llüchlet er sieb trotzig-resigniert in das ihr unzugängliche reich des Wunsches. was er sieb im gründe von ihr wünscht, verschweigt er : nur ihren kuss und ihren grufs wünscht er sieb (die balle er schon im in büchlein s. 392, 221' ersehnt), und dass sie ihm endlich ins beiz seben möge, zwar gibt er sieb (letzte Strophe) den anschein, als ob er immer noch an ihre gute glaube, aber schon kommt

8 BRECHT

ihm der wünsch, anderswo Iröst für truren zu suchen; hastig unterdrückt er ihn (401, 9 f). doch schon im nächsten liede (xv, frühling 1229) ist er wider da (403, l)1. es hat seine cavaliers- eitelkeit verletzt, dass man ihn nicht mehr so munter (fruot 402,28) findet wie vordem, sein ewiges klagen beginnt zu langweilen, da ihm bezeichnenderweise alles daran ligt, froh zu erscheinen, so kann er den gedanken, sich ein ander Uz zu suchen, nicht mehr so ganz verwerfen, natürlich sind es wider die damen der ge- sellschaft (ir guolen reiniu wip), denen er diesen entschluss zu billiger begutachtung vorlegt, ihnen ist auch das feurig-kräftige marschlied (uzreise, xvi) gewidmet, das in denselben sommer fällt (str. 5). erst in den beiden letzten Strophen gedenkt er resigniert seiner unbarmherzigen herrin, gegen die er sich mit der gedul- digen treue eines guten gewissens wappnet, noch einmal flammt seine empfindung für sie auf (xvn, frühling 1230), der treu- geblieben zu sein er sich selbst beglückwünscht (s. o. xn). aber schon die beiden nächsten, eng zusammengehörigen lieder (xvm u. xix, herbst 1230, frühjahr 1231) zeigen ihn wider in der atmosphäre ganz allgemein gesellschaftlicher frauenverehrung. beide preisen in paradoxer weise die sonst verhasste huote und die merkcere, indem sie diese so geläufigen höfischen begriffe, die Ulrich bei seiner starken geselligen betätigung gerade in jenen jähren besonders nahe liegen mochten 2, spielend verändern : das merken wird zum interessiertsein, wie es den frauenkenner, die männer- kennerin auszeichnet, huote zur vorsichtigen gesellschaftlichen haltung der frau (huote vereinzelt schon 126, 28 30, vin). seiner dame gelten im xvm liede nur die beiden letzten, die nutzanwen-

1 hier ligt eine art disharmonie zwischen Med und später gedichtetem märe vor. 402, 12 15 gibt Ulrich an, in jenem sommer immer hohes mutes gewesen zu sein : aber gleich die erste Strophe des folgenden liedes (xv) zeigt ihn klagend, der weitere verlauf und das xvi lied nicht über- mäfsig fröhlich, der grund ist klar : er will damit renommieren, wie er durch den blofsen vorsalz, wider uro zu werden (xv, str. 2), es in der tat geworden sei. dem entspricht die gewollte fröhlichkeit der lieder xvu, xviii, xix (1230 u. 31). es gibt eben nichts weniger cavaliermäfsiges als duckmäuserei. dies wollte er, als er später den FD dictierte, noch schärfer hervortreten lassen, als es lied xv str. 2 tut. grund zu ernsthaftem ver- dacht gegen die sachliche und chronologische richtigkeit seiner erzählung seh ich nicht. anstofs hat auch Bechstein n 119 anm. genommen.

3 möglicherweise hat ihn auch die ausgesprochene furcht der dame vor dem merken 396, 1 angeregt.

ULIUCII VON LICHTENSTEIN 9

dllDg auf sie bringenden Strophen, das xix. das die gesellschaft- lichen Spitzfindigkeiten des vorhergehnden ziemlich trivial wider- holt, ist directer an sie gerichtet, er wirbt noch einmal aber in der letzten Strophe verspricht er aller weit kundzutun, wie alle freude für ihn zu ende sei, wenn sie ihn zwänge, sich ihrer ininne zu entschlagen.

Bald danach tritt die lange drohende Wendung ein, im herbst 1231 verlä'sst der bis zur Unvernunft treue rilter nach dreizehnjähriger vergeblicher Werbung den dienst der herrin. was ihn dazu bewogen hat, deutet er nur dunkel an (411, Uff); er hatte wol seine gründe dazu, es kann nicht ein einzelnes ver- gehen, sondern muss ein widerholtes oder fortgesetztes unrecht gewesen sein, was sie ihm antat (aao. und 413, lOff. 25) ', eine wider besseres wissen böslich aufrecht erhaltene Verleumdung oder dergleichen.

Der dichterische ertrag dieses Umschwunges sind sieben scheltlieder, die Ulrich aus dem lebhaften gefühl der erlittenen krankung heraus vom herbst 1231 bis zum frühjahr 1232 ge- dichtet hat-, sehr natürlicherweise sind die ersten die schärferen,

1 hiernach sind die ansichten von Becker und von Bechstein zu berichtigen, die verse, die Bechstein (s. xxix) auf einen zornigen wortstreit zwischen beiden deutet, 413, 17 27, beziehen sich vielmehr auf die schelt- lieder, die U. soeben mitzuteilen sich anschickt und die er jetzt bereut: 413, 21 an disem buoch. zum beweise diene ferner der reuige ausruf 415,30—41(3, 11. Beckers auffassung (Wahrheit u. dichtung in UvL.s FD s. 89 IT) wird der Wahrheit näher kommen, wenn auch 127, 18 voraus- gesetzt, dass man diese stelle überhaupt noch hier heranziehen darf und 411, 17 nicht gerade so handgreiflich interpretiert zu werden brauchen, das swache leit kann auch ein erniedrigender klatsch gewesen sein. Schön- bachs ansieht (Biogr. bll. n s. 31) : 'U. kam dahinter, dass die herrin einen andern bevorzugte' passt gar nicht zu den textstelleu. seinen folgenden satz versteh ich nicht; wo handelt es sich denn beim ersten minneverhältnis um einen 'glücklichen ausgang?' viell. ist statt swachez /. 411, 17 sivwrez leit zu lesen, die Verbindung swachez leit mit der hier geforderten proleptischen bedeutung des adj. (noch dazu stark betont : ein so siv. /.) scheint sonst nicht belegt. W'igalois 795 : swenne dehein swachez leit truoble ir feindete hat eine andere bedeutung. der folgende vers 411, 18 passt besser zu swwrez; in der Schrift sind beide Wörter leicht zu ver- wechseln.

a Ulrich selbst rechnet xx xxvi als scheltlieder, vgl. 427, 17 f; xxiv —xxvi sind aber eigentlich keine scheltlieder mehr, da in ihnen das positive des frauendienstes weit überwiegt.

10 BRECHT

in den späteren überwigt die Stilisierung in die verallgemeinernde reflexion', wodurch die persönliche gehässigkeit gemildert wird. Im ersten 'klageliede' (xx) mäfsigt er sich zwar noch, mit merklicher anstrengung. es ist gewissermafsen erst die ofücielle aukündigung der drohenden feindschaft, in form einer rechts- klage vor dem gerichtshofe aller trauen das alte motiv, sich an die gesamtheit zu wenden K in nachdrücklicher widerholung klagt er seine hisherige herrin schäches tinde roubes an. was sie ihm geraubt hat, ist seine lebensfreude in der ganzen schier end- losen zeit, die er ihrem diensle gewidmet hat2, mehr von seinem leide zu sagen geniert er sich; auch will er sich als cavalier nicht vom zorn übernehmen lassen, so hält er denn noch den vermiltlungsweg offen, falls sich jemand findet, der ihn beschreiten will ; sonst droht er mit dem schlimmsten 3. da die dame ihr verhalten nicht ändert (413, 10), sieht er sich genötigt, seine drohungen wahr zu machen, viel energischer beklagt ein zweites klagelied (xxi) den Verlust seines lebensglückes und weist der vrowe alle schuld daran zu. hätte er doch noch die illusion der hoffnungl aber auch die ist hin. wie gut war die herrin, als er sie kennen lernte 1 inzwischen hat sie sich ganz verändert4, in der äufseren haltung ungleich ruhiger, im inhalt das schärfste von allen ist das folgende (xxn). mit einer sachlichen minne-

1 Vgl. XI. XIII. XIV. XV.

2 vgl. schon xiv 399, 13 : St nimt mir wende, diu mich sorgen solle machen vri. nu läls also rouben . ähnlich wie Ulrich klagt Walther 53, 1 ff wesentlich über die verlorene zeit, in der form wol beeinflusst durch Morungen MFr. 128, 15 ff (citat von Wilmanns).

3 vgl. das vierte lied des von Buwenburg, str. 3 :

iuonl ir niht den willen min, ich sprich iu ein wörtelin, dar an hanget siuften unde weinen. (Bartsch Die Schweizer minnesänger s. 260).

4 gerade so macht es Buwenburg aao. st. 2 :

Ich wände ein wip von Iper haben funden, ich erst ersach die minneclichen : swachet si an eren zallen stunden usw. auch Neidhart findet, dass sich die geliebte in der Zwischenzeit verkeret habe (82, 25 ff), er schimpft unflätig auf sie, viel stärker als Ulrich es ist nämlich nur eine allegorische figur, die frau Werltsüeze (82, 15 ff, erster Werllsuezenton; vgl. RMMeyer Die reihenfolge der lieder Neidbarts s. 147). gedankengang und diction dieses liedes erinnern lebhaft an Walther.

ULRICH VON LICHTENSTEIN n

theoretischen auseinandersetzt! Dg, dem lobe widerum aller guoten wibe, beginnt es, scheidet aber unerwartet die falschen von den guten und macht sofort die rückhaltloseste nutzanwenduog aul die verlassene dame. kein ausdruck ist ihm der schamlosen gegen über, deren wille daber fuhr wie aprilwetler, stark genug, aber der schluss halt sich wider objecliv, indem er zu dem im anlang gemachten unterschiede zurückkehrt; unrecht tut, wer zwischen trauen nicht unterscheidet '. die beruhigung schreitet im vierten schellliede (xxiii) fort, hier sind von fünf Strophen nur die zwei letzten seinem Unglück gewidmet, auch in ihnen trauert er mehr als er schilt, die drei ersten tun in der sentenziösen weise von minnereden dar, dass triuwe und stiele unbedingt zur minne ge- hören : woraus sich das folgende widerum als ausgesprochen (419, 22) persönliche nutzanwendung ergibt.

Nach kurzer zeit kann der von natur mit unvertilgbarem luslbedürfnis ausgestaltete Sanguiniker die catonische miene und das leben ohne minne nicht mehr aushalten, aus wintersnot und altmachender sorge sieht er keinen andern ausweg als durch wibes güete (xxiv, str. 4) : irgendwo muss es doch noch guotiu xcip geben ! der wünsch eines zweiten minneverhällnisses spricht sich offen aus. das ganze lied ist nur ein vorklaug jener wdn- wisen, denen wo ein wille ist auch ein weg die reale zweite minne bald folgen sollte, womöglich noch deutlicher er- scheint das bedürfnis Ulrichs in seinem leiche (xxv), den er in derselben zeit gesungen hat (winter 1231/32), und der mit dem letzten liede in engster beziehung steht, hat er nämlich in xxiv seinen festen vorsatz ausgesprochen, sich wider der freude (zb. str. 2) zuzuwenden, so rät er dies im leiche, gleich zu aufang, nun allen mäunern (werende freude 423, 3). und er hat sich schon so weit über sein misgeschick und seine rachegefühle erhoben, dass er als einzige quelle jener freude nur wider anraten kann guotiu wip zu miunen. der gesamte erste teil des leichs enthalt

1 Knorr (s. 44 ß) conslatiert entlehnung dieses niotivs von Walther 58, 35. 48, 35. vielleicht hat es daher auch Buwenburg, der das schon zweimal angeführte heftige scheltlied so beginnt:

Sang ich. hiure ?iihl von guolen wioen, so sing aber ich nu von den swache?i usw. diese Scheidung ligt aber bei solchem anlass wol so nahe, dass jeder selb- ständig darauf kommen konnte.

12 BRECHT

demgemäfs nur rein sachliche minnelehre, die sich in inhalt und tendenz sowol im ganzen wie an einzelnen stellen eng an das vorige lied anschliefst (423, 21 stcer e'ren scelic welle sin, vgl. xxiv: 420, 24 dd fand ich ouch ere bi, 27 und erwirbe ich freude und ere; 422, 10 vinde ich die, so vinde ich ere; ferner 424, 6, vgl. 422, 9). auf sein persönliches misgeschick kommt er erst im zweiten teile zu sprechen, er trüstet sich (424, 7 ff): Min muot von wiben hohe sldt. waz danne ob mir ir einiu hdt Erzeiget hohe missetdt? hat es also innerlich überwunden, wante er sich im ersten teile an die männer, so gilt der zweite ausschliefslich den frauen. auch wenn er von ihnen in der dritten person redet, ist doch alles an ihre adresse gerichtet, der inhalt dieses teiles ist nicht neu. er ist ein verschmelzender cento von motiven früherer lieder, deren entstehung und entwicklung wir beobachtet haben. 424, 1 1 :

Swaz si gegen mir hdt getdn fconstr. anö v.olvov)

daz wil ich gerne wizzen Idn

uf gendde guotiu w/p worauf die erzählung ihrer schuld folgt, was ist dies im grund- motiv und in der form anders als die grofse anklagerede des xx liedes, vor demselben tribunal, an das zu allererst zu denken er seit der Venusfahrt und seit dem geselligen winler 1227/28 gewöhnt war (lied xm str. 4, insbes. 397, 24)? 424, 7 31 des leichs widerholt geradezu lied xx str. 1 4 , man vgl. speciell die anfangsapostrophe, und ist nur eine neue Variation des haupt- inhaltes aller bisherigen scheltlieder. im einzelnen entspricht 424, 15 21 der zweiten Strophe von xx. die beiden bilder mit denen er die launenhaftigkeit der herrin verklagt, 424, 25 31, verfolgen in anderer sphä're denselben zweck wie das bild vom aprilwetter xxn str. 5:

Nu vert enwer ir habedanc, Als aberillen weter vert ir wille, Reht als ein rat daz umbe gdt daz nie wind es prüt als swinde etc. enwart etc.

Die gegenüberstellung der guoten und falschen wibe 425, 1 2 schlägt noch einmal das thema von xxu für einen augenblick an, die beiden folgenden verse bringen mit dem widerholten State

ULRICH VON LICUTENSTE1N 13

das hauptstichwort von xxm wider in crinncrung. die zweite hallte des zweilen teiles, in die diese motive bereits gehören, drückt dasselbe aus wie die letzten Strophen des vorhergehndeu liedes xxiv, den wünsch eines neuen Verhältnisses, aber un- wandelbar muss die neue herrin sein, das betont der durch erfahrung gewitzigte zum Schlüsse nochmals nachdrücklich (425, 26—426, 3).

Gleichzeitig mit dem leich hat Ulrich nach seiner eigenen angäbe (426, 8f) das xxvi lied gedichtet, es erweist sich als eiu kurzer auszug des leichs in inhalt und einkleidung (rat an die männer, guoliu wip zu minnen); der erste teil, str. 1 3, ent- spricht genau dem ersten, der zweite, str. 4 7, dem zweiten teile des leichs. auch der Übergang zwischen beiden teilen (426,24 25) ist ganz der gleiche wie dort (424, 711). die letzten Strophen (5 u. 6) von xxiv, die den zweiten teil des leichs mit bilden halfen , haben mithin auch die drei letzten von xxvi be- fruchtet, die Ähnlichkeit erstreckt sich bis auf die worte (zb. vinden 427, 1.10 vgl. 425, 24. 422, 6. 10). der wünsch eines zweiten aussichtsreicheren Verhältnisses ist zu voller klarheit ge- diehen, nur der würdige gegenständ fehlt noch, die schlussstrophe: Ich wil gerne sin ein vrowen vrier man, al die wile ich niht ein guote vinden kan usw. bildet bereits den directen Übergang zu den wdnwisen.

ii Die wänwisen. 1232/33.

Ulrich begründet seine hinwendung zu wdnwisenx mit der ausdrücklichen bitte einer hervorragenden dame an ihn, er möge um aller frauen und um seiner selbst willen die rachedichtuug der scheltlieder aufgeben (427, 13 28; lyrischer niederschlag im nächsten liede 428, 26. 27). auch ohne solche auffordern ug würde Ulrich das getan haben , da die bisherige entwicklung an sich schon dazu führen muste.

Zusammenhang der wdnwisen mit geist und inhalt der letzten lieder ist unverkennbar, die erste wdnwise (xxvn) bleibt im ge- dankengange des vorhergehenden liedes xxvi, dessen inhalt sie gewissermafsen umdreht, hatte Ulrich dort behauptet, wenn man höhen muot erwerben wolle, brauche man nur guotiu wip zu

1 wdnwisen ist nach wie vor als 'freie phantasieproduete ohne realen gegenständ' aufzufassen und ßechsteins seltsame Übersetzung 'freudenklänge' (anm. zu str. 1376, 8. L. 427, 28) zu verwerfen.

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minnen, und dies allen mänueru geraten, so sagt er jetzt: wer erfolg in der minne werter flauen haben wolle, müsse hochgemut sein (428, 7. 8), und erteilt sich selbst diesen rat (428, 25 ff) es ist ein zirkel. nach der verirrung der ihm garnicht anstehnden scheltlieder hat er sich damit zu seiner wahren natur und zu seinem lyrischen grundgedanken zurückgefunden : freude, nichts als freude soll die ritterliche minne geben.

Dieser gedanke wird in der zweiten, sangbar-anmutigen wdnwise (xxvui) nur weiter ausgeführt, zum teil spielend, vor der staien liebe, die minne heifst (430, 1), schwindet alles trauern; sein geheimes verlangen nach ihr kann er in einem seufzer zum Schlüsse nicht verbergen.

Bei stiller Sehnsucht bleibt es nicht; schon das nächste lied (xxix), ein sommerreie, der das glück erhörter liebe fast neidisch preist, wird sehr kühu : die höchste seligkeil ist die Umarmung, das bigeligen, das als schlusspointe bis an die grenzen der mittel- alterlichen discretion ausgemalt wird, natürlich: gerade der 'frauen- freie' mann (427, 24) muss in der phantasie geniefsen, was ihm das leben zur zeit versagt.

Eine Illustration zu den bisher gegebenen minnelehren, die dabei noch einmal in lebendiger Unterweisung kurz zum Vortrag kommen, zugleich eine praktische anwendung bildet die sechste wdnwise, ein dialog Ulrichs mit einer vrouwe über das berühmte thema : waz ist minnel in dessen verlauf der belehrende ritter keck wird und ganz unerwartet einen allerliebsten korb bekommt (winter 1232).

Es fällt auf, dass Ulrich in den zwei Strophen des märe, die den Übergang vom vorhergehnden liede zu diesem dialog bilden, gerade von einem besuche spricht, den er damals jener befreundeten dame, die ihm von den schellliedern abgeraten, ge- macht habe, und von der Unterredung mit ihr. die Schilderung sieht ganz nach minueconversation aus. 434, 14: ich reit mit ir sus unde so: des antwurt mir diu lugend rieh mit süezen Worten minneclich. mit speeher rede ich von ir schiet. davon so sang ich disiu liet (= xxx).

Er versichert also ausdrücklich, aus einer derartigen Unter- haltung sei sein dialog über die minne hervorgegangen, sollen

ULRICH VON LICHTENSTEIN

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wir ihm hier mistrauen, etwa weil die lieder das ursprüngliche sind, aus denen das märe nachher in freier phantasie geschöpft sein konnte? da sich die beziehungen zwischen er Zählung und liedein1 bisher als ganz unverdächtig erwiesen halten, da der dichter ganz naiv, unironisch, unhumoristisch, sachlich-trocken berichtet, sogar beschämendes nicht verschweigt2, so halt ich uns für durchaus berechtigt, hier den Zusammenhang /wischen leben und lyrik festzustellen, dann wären wir auch berechtigt, anzu- nehmen, dass Ulrich, der Mine freiwillige Verlassenheit so schwer ertrug, jener d.uiie uiirklich seine minne angetragen und einen korh bekommen hat. sie verschwinde! Dämlich jetzt stillschwei- gend .ms dem FD. die an, mit der Ulrich sehr bald danach (439,14) seine neue herrin, die des zweiten Verhältnisses, frisch in die erzählung einführt, verbietet anzunehmen, dass jene dame mit dieser identisch sei.

Die tendenzen der wdnwisen finden sich in der tünlten (xxxi), welche die letzte hleihen sollte, unabsichtlich noch einmal zusammengestellt : preis des frühlings und der frauen, deren liebe den mann glücklich macht.

Diese wenigen gedanken in den wenigen liedern sind im gründe Ulrichs ganze liebeslehre. die wänwlsen liehen sich nicht so sehr von den bisherigen minneliedern ab, als man bei dem Wegfall einer bestimmten Persönlichkeit, an die sie sich richteten, erwarten sollte, gerade hier wird recht klar, dass Ulrichs lieder bisher eigentlich alle schon wänwtsen waren, db. dass im »runde auf die vereinte herrin wenig dabei ankam, sie ist nur eine stell Vertreterin des ganzen geschlechtes, dem Ulrichs Verehrung gilt, mag auch woran ich nicht zweifle sein herz hei der ersten minne nicht unbeteiligt gewesen sein, ihre wahre Ursache war das artistische phantasiebedürfnis, das für die dem menschen Ulrich einmal innewohnende hinneigung zur frau einen bestimmten äufseren anhält suchte, in den wänwlsen liel auch dieser vor-

1 der aasdrack 'eingestreute lieder', an den man sieli gewöhnt hat, nimmt in dem falle Dlrichs zum mindesten unsicheres als sicher an. denn mag auch Ulrich für das märe gleichzeitige aufzeichnungen benutzt haben (s. Schönbath Biot;iaph. Matter u 32, 33), so bleibt doch bestelm, dass die lieder das in der vorliegenden festen form ältestesind, um das die erzählung heru mgegosse n ist. sie sind das prius, nicht die erzählung.

a vgl. Schönbach aao. s. 23 ff.

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wand fort : insofern kommt in ihnen seine natur am reinsten zum ausdruck.

in Lieder der zweiten minne. 1233 <C > 1255. Da Ulrich im sommer 1233 nachgerade seihst darilher klar geworden ist, dass er für ein neues minneverhältnis reif sei, zögert er nicht, sich nach einer würdigen, dem einzigen, das ihm dazu noch fehlt, umzusehen (439, llf). seine erste minne ist für ihn innerlich schon so lange her, dass die erinnerung sie ihm hereits golden zu färben beginnt (438, 14 24). bald hat er eine herrin gefunden; und dass er kein blöder page mehr ist, sieht man an der sachlichen art, in der er das Verhältnis in die wege leitet : er reitet einfach zu der dame (deren namen er natürlich nicht nennen darf) hin und 'tut ihr seinen willen kund' (440, 9). ihre antwort fällt so aus, dass er davon in freudenüberschwang gerät und seiner ältesten, im gründe einzigen liebe, dem hohen muoty das erste lied seiner neuen minne (xxxn) widmet, für deren abstractere art ist die adresse an einen personifizierten begriff von vornherein charakteristisch, der minnephilosophische ton der wänwisen bleibt, nur mit schwindender frische, in geltung. xxxii ist ein rechtes beispiel für ein absichtlich gemachtes ge- legeuheitsgedicht. mit vollem bewustsein, ganz unnaiv, wird die neue Verbindung begrüfst und unter etwas künstlichem jubel ein- geläutet, das gefühl der erleichterung freilich , nun nicht mehr einsam trüren zu müssen, mag wol wahr daran sein, hier wie in den folgenden liedern. das einzige thema ist zunächst natürlich der preis der neuen herrin. die einzelmolive sind grofsenteils nicht neu. so greift Ulrich auf das hauplmotiv des vm liedes, beschreibung der Insassen seines herzens (s. o.), zurück, wenn er in der vorletzten Strophe den höhen muot als vogt im hause seines herzens auffasst, dem die f'rau und die minne dort gesellschaft leisten; angedeutet ist die metapher schon in den ersten beiden versen des liedes. durch seine freude klingen reminiscenzen an die von der früheren herrin ihm angetane untdt (s. o.), denn es ist als reaction darauf zu erklären, wenn er jetzt so viel von der ere seiner herrin spricht, halle er in den scheltliedern die erste dame eines vergebens bezichtigt, dessen nennung sie scham- rot machen müste (412, 25 ff), von ihr gesagt:

diu ist wibes eren gram (417, 17) und von einer zukünftigen herzensherrin verlangt, sie müsse

LI.IUCII VON LICHTENSTEIN 17

wiplich sin gemuot,

eren rieh, vor allem wandel <jar behuut 127, 711),

so frohlockt er jetzt :

Höher muot, dich hat gesendet nur ein wip diu ere hat (4-11,5);

das ist das allererste, was er überhaupt im liede von ihr s;i. (dritte stroplie). begreiflicherweise kommt er noch ol't darauf zurück, der uumittelbare Zusammenhang seiner neuen poesie mil den eben verklungenen wdnwlsen wird in dein folgenden, eben- falls noch einleitenden liede (xxxm) bemerklich, einem dialoge Ulrichs mit der neuen geliebten über bedingungea und lohn seines dienstes. die elegante minneconversalion endet unerwartet damit, dass sie seine immer schmeichelhafteren complimente scheinbar entrüstet als ironie zurückweist, unverkennbar ist die grofse ahnlichkeit mit dem kurz vorhergehndeo dialoge xxx : auch dort gesprach Ulrichs mit einer dame; er beginnt, wird von Strophe zu Strophe kecker und erlebt zum schluss eine dort offenbar ernsthaftere kokette abweisuug, die ebenfalls ganz kurz (dort zwei, hier drei verse) in die letzte, eigentlich ihm gehörende dialogstrophe als letzte pointe einbricht (ebenso schon im ersten dialog mit frau Minne, x 136, 51.). dazu kommt, dass die enl- stehung beidemale die gleiche ist. wie xxx nach des dichters

1 die widerholung in der zwtitfolgenden Strophe (441,21) besagt vielleicht nicht viel, da reimschlendrian vorliegen kann (lere : ere : here ; vgl. 437, 9 11 im vorhergehnden liede). aber weiterhin sprechen noch mehrere stellen von der ere der dame, in den nächsten fünf liedern vier : 145, 24 (xxxiv), 449, 9 (xxxvi), 449, 22 : wol mich des daz si htil tugent und ere, und besonders 450, 1 1 fT : ich bin vrö des daz ir ere hat behuot sich als si sol (xxxvii; vgl. 508, 14). vor dem Umschwung nach lied xix i»t von ere der herrin in allen liedern nur an folgenden stellen die rede : 111, 3 (vi). 131, 25 (ix). 394, 18 (xn). 406, 14 (xvn). 408, 20 (xvm), und höchstens an der ersten mit einiger betonung. jetzt hat U. diese eigen- schaft ganz anders einzuschätzen gelernt. auch von ere der männer wird jetzt häufiger gesprochen, und es ist vielleicht kein ganz äufserlicher zufall, dass nicht allzulange danach, bei der Artusfahrt 1240, herr Kadolt Weis dem Lichtensteiner eine Jungfrau als botin der fruuw Ere entgegenreiten lässt, um ihn zum turnier einzuladen (477, 5 (T), ein scherz, den Roethe mil dem jenen rittern im Südosten sicherlich wolbekannten Reinmar von Zweter zusammenbringt (Die gedichte Reinmars von Zweter s. 168. 217); nach ili#i stammt auch das adj. eregernde bei Lichtenstein (zb. 423, 1. 424, 1. 45ii, 25) von demselben Reinmar.

Z. F. D. A. XL1X. N. F. XXXVII. 2

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eigener aussage (s. o.), ist auch xxxru als unmittelbare wilrkung einer minuiglichen Unterredung entstanden. Ulrich versichert es widerholt vor und nach mitteilung des dialoges: swaz ich des tages gegen ir sprach, zehant ich da von ir schiel, ich sanc von ir sd disiu liet (442, 29 IT)

ich redet drinn mit der frowen min (444, 15), und ich sehe keinen grund, ihm nicht zu glauben.

xxxiv ist eine gesteigerte widerholung von xxxn; das gleiche gilt von xxxvn. leider ist über die entstehungszeit all dieser lieder genaueres nicht zu sagen, als dass Ulrich sie (von xxxiu an) zwischen 1233 und 40 verfasst hat. xxxiv xxxvn können in ihrer abfassungszeit nicht allzuweit auseinanderliegen, sonst würde er sie schwerlich zusammen angekündigt L und ohne jeden verbindenden text widergegeben haben.

xxxiv ist ein frühlings-, xxxv ein winterlied, doch wol aus demselben jähre (wie oben iv und v), beider inhalt durchaus der übliche : das kommen des frühlings wird mit dem der neuen liebe identificiert, als bestes mittel gegen das leid des winters aber empfohlen, mit frauen in den warmen Stuben sich zu erfreuen, auf derselben conlrastieruug von draufsen und drinnen beruht das nächste winterlied (xxxix, 1240); nur dass hier der grund seiner bei der harten Jahreszeit verwunderlichen freudenstimmung, die Schönheit seiner herrin, nicht nur erwähnt, sondern in län- gerer unanschaulicher Schilderung, bei der leibliche und charakter- vorzüge durcheinandergehn, vorgeführt wird. Schönheiten der form erwähnt Ulrich nicht; nur ihre färben, braun, rot (mund), weifs, sind es, die ihm eindruck gemacht haben.

In dasselbe jähr